Artikel in der »Volksstimme«
Stellen Sie sich vor, Sie haben gerade einen dieser seltenen Urlaube überstanden, bei denen Sie sich nicht nur siebenhundertsechzehn Mückenstiche, jeweils vier Blasen an den Fersen und Zehen sowie einen Sonnenbrand zweiten Grades eingefangen haben, sondern sich tatsächlich auch – welch unerwartete Wendung – vollumfänglich entspannen konnten. Mit der Urlaubsbekanntschaft haben Sie aus reiner Höflichkeit die E-Mail-Adressen ausgetauscht und das halb erzwungene, nichtssagende Versprechen abgegeben, einander zu besuchen, wenn man denn zufällig in der Nähe verweilen sollte, was überaus unwahrscheinlich ist, da sie Kontinente voneinander trennen.
Sie sind zurück zu Hause, in Ihrer wohlverdienten Oase der Ruhe. Überraschung: Ihre unerträglich pubertierenden Kinder haben die Wohnung weder abgefackelt noch überschwemmt. Bis hierhin: alles schön und gut. Doch dann klopft die Realität – oder in diesem Fall Elsa, die besagte Urlaubsbekanntschaft – an Ihre Tür. Elsa ist eine dieser Personen, die im Handumdrehen aus einem flüchtigen Kennenlernen eine ewig bindende Freundschaft machen wollen und dies, ohne die geringste Rücksicht auf Befindlichkeiten, mit einem mehrtägigen Besuch, dessen Ende unbekannt ist, besiegeln. Elsa ist viel zu exzentrisch, viel zu aufdringlich, viel zu glücklich und überhaupt viel zu viel, um sie ertragen zu können. Sie hat mehr Geheimnisse als das Voynich-Manuskript. So zum Beispiel, dass sie laut Internetrecherchen eine Serienmörderin ist.
Tja, was tut man in so einem Fall? Die Wenigsten sind gerne unhöflich, irgendwann jedoch muss das Offensichtliche akzeptiert werden: Die berühmte Gastfreundschaftsideologie ist denkbar schlecht auf psychopathische Eindringlinge vorbereitet. Man könnte, zumindest hypothetisch, lächeln, während man auf den richtigen Zeitpunkt für den Notausgang wartet. Vergeblich. Der erscheint nämlich gar nicht. Im Gegenteil, stattdessen taucht der nervigste aller Nachbarn auf und will am liebsten für immer bleiben. Erstens, weil im Bereich Gartenzuständigkeit noch Klärungsbedarf besteht, zweitens, weil er sich ein wenig oder womöglich ein wenig mehr in die vermeintliche oder aber auch echte Mörderin verguckt hat. Wenn Sie jetzt denken, das ist wohl ein schlechter Witz, muss ich Ihnen widersprechen. Das ist eine grandiose Komödie!
Die absurden Wendungen und die besondere Art von Humor, die gleichermaßen auf das Unvermeidliche und das Unvorhersehbare zielt, entstammen den Federn des brillanten britischen Drehbuchautors Steven Moffat. Der Steven Moffat, der unter anderem als Autor und Showrunner der BBC-Serie „Sherlock“ Weltbekanntheit erlangte, 2015 für seine künstlerischen Verdienste von Elisabeth II. zum Officer of the Most Excellent Order of the British Empire ernannt wurde und dessen Werke Garanten für Spannung und Lachmuskelbeanspruchung sind. Also, wenn Sie nach dem Sommerurlaub sehen wollen, wie ein Sommerurlaub unter gar keinen Umständen enden sollte, empfehle ich Ihnen dringend „Die Mords-Freundin“ am TdA.